Besondere Aufmerksamkeit verdient die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 05.07.2019 (Az.: LV 7/17) in der folgendes ausgeführt wird:
Wenn ein für Geschwindigkeitsmessungen eingesetztes Messgerät die erhobenen Rohmessdaten nicht speichert und diese damit der Verteidigung nicht zur Überprüfung der Messung zur Verfügung stehen, liegt trotz der Einstufung als standardisiertes Messverfahren eine verfassungswidrige Beschränkung des Grundrechts auf ein faires Verfahren sowie auf wirksame Verteidigung vor. Eine auf solchen Messungen beruhende Entscheidung ist mangels Verwertbarkeit der Messdaten aufzuheben.
Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat entschieden, dass Rohmessdaten grundsätzlich abgespeichert werden müssen, um diese im Nachhinein einer Richtigkeitskontrolle unterziehen zu können. Fehlt es an einer entsprechenden Dokumentation und vermag sich eine Verurteilung nur auf das dokumentierte Messergebnis und das Lichtbild des aufgenommenen Kfz und seines Fahrers zu stützen, so fehlt es nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes an einem fairen rechtsstaatlichen Verfahren, wenn sich ein Betroffener gegen das Messverfahren wendet und ein Fehlen von Rohmessdaten rügt. Eine Verurteilung könne auf dieser Grundlage nicht erfolgen. Grundsätzlich müsse der Verteidiger eines von einem Straf- oder Bußgeldverfahren Betroffenen nicht nur die Möglichkeit haben, sich mit den rechtlichen Grundlagen des gegen seinen Mandanten erhobenen Vorwurfs auseinanderzusetzen, sondern er muss auch die tatsächlichen Grundlagen auf ihr Vorliegen und ihre Validität überprüfen können. Dies müsse auch so sein, wenn es sich um ein sogenanntes anerkanntes standardisiertes Messverfahren handelt.
Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes ist insoweit zu begrüßen, als eine Verurteilung nicht allein von dem Ergebnis einer standardisierten Messung abhängig sein darf, sondern es grundsätzlich dem Betroffenen möglich sein muss, die Messung zu überprüfen und damit eine effektive Verteidigung durchzuführen.
Gemessen wurde bei dem im Saarland entschiedenen Fall mit einer Geschwindigkeitsmessanlage Typ TraffiStar S 350 der Firma Jenoptik. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (BTP), die dieses Gerät geprüft und zugelassen hat, hat argumentiert, dass eine Plausibilitätsprüfung des geeichten Messwerts schon im Gerät selbst erfolge und daher eine nachträgliche Plausibilitätsprüfung anhand dieser gleichen Datenpunkte keinen messtechnischen Erkenntnisgewinn bringe. Die im Rahmen des Gerichtsverfahrens angehörten Sachverständigen sahen dies erfreulicherweise anders und stellten unter anderem darauf ab, dass bei der Überprüfung nur eines Messergebnisses eines konkreten Geräts es kaum möglich sei ohne weitere Messreihen eine Sachverständigenüberprüfung vorzunehmen. Daher benötige man bei der Überprüfung eines neuen Geräts immer mehrere Datensätze, um Erfahrung mit dem Gerät zu bekommen.
Formaljuristisch entfaltet das Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes über das Saarland hinaus keine bindende Wirkung; der vom Verfassungsgerichtshof letztlich dargestellte Grundsatz, das staatliches Handeln nicht undurchschaubar sein darf, dürfte jedoch auch für die Rechtsprechung in anderen Bundesländern Fernwirkungen haben.
Aus Verteidigersicht sollte diese Entscheidung daher für alle Verfahren herangezogen werden, in denen die Rohmessdaten nicht gespeichert werden und demzufolge einer nachträglichen Überprüfung nicht zugeführt werden können. Es kann letztlich auch nicht von einem Zufall abhängen, ob der Betroffene – wenn er im Saarland geblitzt wurde – weitergehende Rechte hat, als bei einem Messvorgang in anderen Bundesländern. Es bleibt daher Aufgabe der Anwaltschaft hier eine einheitliche Rechtsprechung voranzutreiben.